Bad Religion live in Stuttgart

Seit ich als Teenager anfing, mich für Musik zu begeistern, fürchtete ich Aussagen von Bands im Sinne von “auf dem neuen Album klingen wir erwachsener”. Denn das war stets das Signal für einen (teilweise starken) Qualitätsabfall. Mehr noch, ich wollte (und konnte) mir gar nicht richtig vorstellen, dass die ganzen guten Bands, die es gab, mal erwachsen bzw. einfach alt werden würden.

Obgleich der Punk tot war, reiften Bad Religion im Laufe der Zeit, mal besser, mal schlechter. Insgesamt schaffte es die Band jedenfalls von der 80er-Kult-Combo zu 90er-Stars zu werden und danach – trotz einiger schwächerer Alben – authentisch zu bleiben. Den Vorwurf, immer wieder das gleiche Lied zu schreiben, bekam die Gruppe schon früh in ihrer Karriere zu hören. Das war ihr freilich egal.

Der Reife-, sprich Alterungsprozess war am Montag Abend auch im Publikum zu sehen. Im ausverkauften Longhorn tummelten sich eher ältere Semester und nur ganz vereinzelt gefärbte Haare und Irokesenschnitte. Bestand etwa die Gefahr der Altersmilde? Das unangekündigte, eher unharmonische Vorprogramm (The Rattlesnakes) verzögerte den Auftritt der Hauptband, doch als es kurz nach 21 Uhr schließlich mit “Crisis Time” losging, sprang die Stimmung ruckartig von abwartend relaxed auf begeistert tobend um. Und damit nicht genug. Bei “Stranger Than Fiction” zeigte sich, dass die Alben aus den 90er-Jahren offenbar zu den beliebtesten gehörten. Neben erwartbaren Klassikern wurden immer wieder großartiger Überraschungen eingestreut, meine persönlichen Highlights waren dabei “Skyscraper” (!), “Dearly Beloved” und “Against the Grain”. Gut, letzteres war vielleicht auch deshalb herausragend, weil es eine klitzekleine Verschnaufpause bot. Denn Sauerstoff war schon bald Mangelware in der Halle. Wie sollte es auch anders sein, wenn die komplette Menge von der Bühne bis zum Mischpult bei “21st Century (Digital Boy)” in Bewegung war? Die während des Auftritts konsumierten Getränke wurden umgehend in Schweiß verwandelt. Nicht hygienisch, aber großartig!

Greg Graffin verstand es, die insgesamt eher knappen Ansagen herrlich lakonisch rüberzubringen. Beispielsweise hätte die Band schon immer über soziale Ungleichheiten gesungen, wobei sie am Anfang in den untersten 10 Prozent gewesen seien und nun eben – Augenzwinkern – in den obersten. “Sinister Rouge” war toll, “Generator” sowieso. “Punk Rock Song” läutete den Zugabenblock ein, der mit “American Jesus” (“see him on the Autobahn”) bestens beschlossen wurde. Ziemlich genau 90 Minuten lang dauerte das Dauerfeuer aus flotten Punksongs – und für arg viel mehr hätte die Kondition (oder zumindest der Sauerstoff) vermutlich auch kaum gereicht. Fest stand auf alle Fälle, dass Bad Religion auch anno 2016 frei von Ermüdungserscheinungen das machen, was sie am besten können: drei Akkorde in musikalische Begeisterung und akustische Energie verwandeln.

Bad Religion live in Stuttgart - pic by Jutze

  1. Crisis Time
  2. Supersonic
  3. Prove It
  4. Can’t Stop It
  5. Stranger Than Fiction
  6. I Want to Conquer the World
  7. Only Rain
  8. New America
  9. Skyscraper
  10. Modern Man
  11. Turn on the Light
  12. Anesthesia
  13. Flat Earth Society
  14. Against the Grain
  15. God Song
  16. 21st Century (Digital Boy)
  17. Fuck You
  18. Dearly Beloved
  19. Suffer
  20. Recipe for Hate
  21. Come Join Us
  22. Fuck Armageddon… This Is Hell
  23. Los Angeles Is Burning
  24. Do What You Want
  25. Overture
  26. Sinister Rouge
  27. Generator
  28. You
  29. Sorrow
  30. Punk Rock Song
  31. Infected
  32. American Jesus